Die erste echte Pause am Yssykköl

Seit unserer Abreise vor 8 Wochen sind wir inklusive heute an genau 10 Tagen nicht Motorrad gefahren. Das heißt aber nicht, dass wir an diesem Tagen nichts unternommen haben. Roland ist rastlos. Vor allem wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, und das war in unserem Fall, den Yssykköl -unseren östlichsten Punkt der Reise- zu erreichen. Ich hatte nie Zweifel daran, dass wir das schaffen. Roland irgendwie schon. Immer wenn ich an einem Ort einen Tag bleiben wollte, hat er zur Weiterfahrt gedrängt. Sonst sehen wir den See nie seine Sorge. Nun sind wir also hier.

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von Vincent. Ein bisschen haben wir, glaub ich, auf ihn abgefärbt, denn eigentlich fährt er spätestens um 8 Uhr los, wenn er alleine reist. Heute wird es 11 Uhr. Rolands und meine Uhrzeit. Oh je, hoffentlich diszipliniert sich Vincent wieder, sonst schafft er es nie bis Ende August über Moskau, Riga und Berlin nach Frankreich zurück. Die vergangenen 11 Tage sind wir zusammen gereist, die Zeit ist wie im Flug vergangen.

Roland und ich gehen zum Strand und sofort ins Wasser. Der Yssykköl See -übersetzt „heißer See“ – hat trotz der hohen Lage auf 1.600 m und Tiefe von 270 m eine angenehme Temperatur, aufgrund von unterirdischen warmen Quellen. Überhaupt geht da einiges ab unter der Wasseroberfläche. Putin soll hier ein U-Boot liegen haben und anscheinend befinden sich auch zwei überflutete Stadtruinen im See.

Wir treffen Sergej und seine Frau Irina und legen uns dort auf zwei Liegen. Und es passiert folgendes: Roland nimmt ein Buch und liest. Nach ein paar Seiten schläft er ein. Roland entspannt. Ich kann es kaum glauben. Wir werden heute nichts tun außer lesen, schwimmen, schlafen und essen. Nicht Motorrad fahren oder Sightseeing oder irgendetwas anderes außerhalb des Resorts unternehmen. Wir haben heute Pause. Und das feiern wir abends mit ein paar Bier am Strand und sehen uns dabei den Sonnenuntergang an. Schön kitschig.

Am nächsten Tag verlängern wir unser Zimmer um eine Nacht. Roland will das so. Ihm gefällt es hier. Der Strand ist schön, das Wasser herrlich, das Essen schmeckt super und das Bier ist günstig.

Nach ein paar Stunden am Strand fahren wir mit den Motorrädern am Spätnachmittag in das 50 km entfernte Karakol – zwei Tage gar nichts tun geht dann doch nicht. In Karakol sehen wir uns die wunderschöne Russisch-Orthodoxe Holz-Kirche an und kaufen Lebensmittel ein. Da Karakol Ausgangspunkt für Touren auf die hohen Gipfel des Tien Shan ist, gibt es hier viele Touristen und in den Märkten entsprechende Produkte. Ich finde Espressopulver für unsere Bialetti. Endlich!

Den Abend verbringen wir wieder am Strand und planen den nächsten Tag. Die Route führt nach Westen. Ab morgen geht’s zurück Richtung Heimat.

6 Stunden für 50 km: der Tosor Pass

Ich wache auf und mein erster Gedanke gilt dem Fluss, den wir heute durchqueren müssen. Ich hab keine Angst, zu fallen oder nass zu werden, aber ich möchte gern, dass meine elektronischen Geräte und die Dokumente, das Carnet de Passages und unsere Ausweise, trocken bleiben und nicht leiden. Also wird alles doppelt in Tüten gepackt, auch wenn meine Taschen laut Hersteller absolut wasserdicht sein sollen. Sicher ist sicher.

Gibek und die beiden Männer sind bereits wach und arbeiten in dem kleinen Zelt nebenan. Tulu sitzt vor einer kleinen Zentrifuge und dreht und dreht und dreht. Er trennt „Moloko“ also Milch und „Smetana“. Rechts läuft die Milch, links Smetana ab.

Der Himmel ist klar und die Sonne scheint. Nach dem Frühstück, das bis auf die Marmelade, die jetzt aus roten Beeren ist, genau wie das Abendessen ausfällt, beladen wir unsere Bikes. Wider Erwartens hat es gestern nicht geregnet, die Bikes sind trocken. Noch.

Als wir uns verabschieden, zeigt uns Ulan den richtigen Weg über den Fluss und der ist total easy machbar. Was für ein Glück. Happy setzen wir unsere Fahrt fort. Mindestens 50 km sind es bis zum Issykul und noch haben wir den höchsten Punkt des Passes nicht erreicht. Der Track ist wie gestern steinig und eng, da ich aber eine viel bessere Sicht habe, fährt es sich leichter. Ich fahre wieder voraus, durchquere einige kleine Flüsse hochmotiviert und werde mutiger. Beim vierten oder fünften Fluss passiert es. Ich fahre auf einen großen Stein, es reisst mein Vorderrad rum und es schmeißt mich nach rechts. Zicki und ich liegen im Wasser. Roland und Vincent eilen herbei und wir versuchen, Zicki aufzuheben. Sie hat sich blöderweise verkeilt und es braucht ein paar Versuche, bis sie wieder steht. Ich bin pitschnass. Ich liebe meine absolut wasserdichten Daytona Boots aber hier haben selbst sie keine Chance. Das kalte Wasser schiesst von oben literweise in meine Stiefel.

Zicki steht, lässt sich aber weder vor noch zurück bewegen. Sowohl vor dem Vorderrad als auch Hinterrad erfühlt Roland einen großen Stein, der sich leider nicht entfernen lässt. Also müssen wir das Bike über das Vorderrad nach rechts heben. Hat geklappt. Vorne ist sie frei. Jetzt kann ich versuchen, sie rauszufahren. Ich sitze auf, gebe Gas und die Männer schieben. Mit lautem Motorheulen und Druck von hinten klappt es, Zicki und ich sind „an Land“.

Als nächstes fährt Vincent durch und bleibt ebenfalls in der Mitte des Flusses stecken, fällt aber nicht, da Roland immer noch im Fluss steht, Vincents GS packt und mit raus schiebt. Roland selbst fährt als letzter, bzw. läuft. Er lässt die Füße sicherheitshalber gleich im Wasser, sie sind ja eh schon nass.

Für mich ist es das erste Mal. Fallen im Fluss und den ganzen Tag pitschnass weiter fahren. Ich leere das Wasser aus beiden Stiefeln aus und hoffe, dass der Rest irgendwie während der Fahrt trocknet. Denkst du! Es ist viel zu kalt. 8°C hat es mittlerweile. Die Griffheizung läuft auf höchster Stufe und schafft es wenigstens meine Handschuhe von unten zu trocknen und die Hände zu wärmen.

Die folgenden Flüsse gehen wir zuerst ab bevor wir sie durchfahren. Einige sind ziemlich breit und haben viel Wasser, Ein- und Ausfahrt sind oft sehr hoch aber mit vereinten Kräften schaffen wir alle ohne weitere Stürze.

Auf einem relativ geraden Stück überholen wir zwei Jungs auf einem Esel. Was machen die beiden hier? Im absoluten Nirgendwo. Keine Jurte, kein Zelt weit und breit zu sehen. Absolut nichts. In solchen Momenten ärgert es mich, dass ich kein Russisch spreche. Zugern würde ich sie fragen, was sie hier treiben.

Dann folgt der eigentliche Anstieg auf den Pass. Die Straße ist steil und unwegsam, überall große Steine, ich finde keine ordentliche Spur und falle ein paar Mal. Vincent ebenfalls, er verliert mehrmals seinen linken Koffer, der sowieso nur noch mit einem Zurrgurt und einer Yak Schnur befestigt ist. Er flucht schon seit Tagen über die Alukoffer und will sich Softbags kaufen, wie wir sie haben, wenn er zurück in Frankreich ist. Macht mehr Sinn, meint er. Er fällt ja so oft.

Roland kämpft sich ebenfalls hoch, schafft es aber bis zum Pass ohne Sturz. Laufen muss er trotzdem viel, weil er abwechselnd Vincent und mir beim Aufheben des Bikes hilft. Die Passhöhe beträgt 3.890 m. Es hat 5°C, der Wind pfeift und viele Wolken hängen in den umliegenden Gipfeln. Wie gewohnt um uns herum Gletscher, sowie ein smaragdgrüner kleiner See unterhalb des Tracks. Geschafft. Es ist der 4. Tag ohne Dusche, ich stecke seit 48 Stunden in den gleichen Klamotten, ich bin pitschnass, erschöpft und friere. Und trotzdem fühle ich mich großartig. Die letzten 2 Tage waren das Abenteuer, das ist eigentlich am Pamir Highway erwartet und heute in Kirgisistan gefunden habe.

Wie so oft, wenn man rauf fährt, muss man auch wieder runter. Der Issykul See liegt auf 1.600m. Die folgenden zwei Stunden fahren wir eine zuerst sehr steile Etappe, wieder mit viel Geröll und später eine wunderbar festgefahrene Serpentine den Berg hinab. Es nieselt zuerst leicht, hört aber dann irgendwann auf. Je weiter wir nach unten kommen, desto grüner wird es. Die letzte Etappe führt durch einen Canyon und ist sehr sandig, hier legt Roland sein Bike kurz ins Gebüsch. Na endlich, Danke für die Solidarität.

Es ist später Nachmittag, als wir in Tamra am See ankommen und wir schaffen es alle zur Tankstelle. Die Befürchtung von gestern, der Sprit könnte nicht reichen, hat sich Gottseidank nicht bewahrheitet. Für die heutigen 50 km haben wir knapp 6 Stunden benötigt. Was für ein Trip!

Bis zum Camping in der Nähe von Kyzyl-Suu sind es noch 50 km. Ich fahre hinter Vincent, Roland am Schluss. Als wir durch einen Ort fahren, werden Vincent und ich von der der Polizei rausgewunken – zurecht. Wir waren etwas zu schnell. So ein Mist. Die Polizei hier ist äußerst korrupt und bekannt dafür, auch gern Radargeräte zu manipulieren, um mehr abzukassieren. Ich ziehe Helm und Jacke aus, gehe zum Polizeiauto. Normalerweise versuche ich in einer solchen Situation die Frauenkarte zu spielen, heute ist es eher die Mitleidsnummer mit meinen wild-zerzausten Haaren und verschmutzen Klamotten. Und besonders gut rieche ich auch nicht mehr. Der eine Polizist schaut mich an, sagt irgendwas von Tourist und winkt mich weiter. Der andere reibt seinen Daumen und Zeigefinger aneinander. Geld? Sicher nicht. Ich zucke mit den Schultern, drehe mich um und gehe einfach. Vincent ebenfalls. Wir werden nicht zurück gepfiffen. Nochmal Glück gehabt.

Es ist heiss am See, fast 30°C. Heute Morgen sind wir in den kalten Bergen gestartet jetzt schwitzen wir. Ich fühle mich langsam unwohl, will endlich irgendwo ankommen, meine dreckigen Klamotten loswerden und duschen. In Kyzyl-Suu biegen wir von der Hauptstraße ab. Es folgen 20 km Arschbrett mit Sand. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Meine Nerven liegen blank und Roland steht es auch schon bis zum Hals. Zu allem Überfluss finden wir den Campingplatz nicht und keiner kann uns helfen. Ich bin kurz vor dem Durchdrehen. Ein junger Kirgise spricht Englisch und er empfiehlt uns das Natali Resort in 3 km. Ein Resort. Mir ist inzwischen alles egal. Wir fahren weitere 3 km Arschbrett. Als wir gerade mit der Dame am Eingang versuchen zu verhandeln, die kein Wort Englisch spricht, kommt ein Mann auf uns zu. Sein Name ist Sergej, er ist Deutsch-Russe und lebt in Bielefeld. Sergej macht uns bei der Dame 2 Zimmer klar. Ihn hat der Himmel geschickt!

Unser Doppelzimmer kostet 27$/Nacht. Was für ein Schnäppchen. Wir checken ein und keine 5 Minuten später stehe ich unter der warmen Dusche. Endlich Haare waschen, frische Kleidung anziehen und zum Abendessen gibt es Pizza. Was für ein Kontrast, aber zum Glück kann ich beides genießen: das wilde Leben in den Bergen und Komfort im Resort.

Über Tash Rabat zum Songköl See

Heute Morgen gibt’s nur Kaffee. Wir hatten gestern keine Gelegenheit mehr Brot einzukaufen. Bleibt mehr Zeit für die Reparatur. Roland montiert den rechten Spiegelfuß auf die demolierte linke Seite und der linke Protektor wird rechts mit Draht befestigt. Sobald wir wieder in einer größeren Stadt mit Basar sind, will Roland den Tankrucksack nähen lassen. Für die nächsten Tage muss Klebeband ausreichen.

Wir setzen unseren Weg auf der Arschbrettstraße (sorry Mama für den Ausdruck) fort. Das kann einem ganz schön die Stimmung verhageln, vor allem wenn man nichts zum Frühstück hatte. In dem nächstgrößeren Ort Baetov halten wir daher an einem  kleinen Laden an und kaufen Brot, Käse, Trinkjoghurt und Kekse. Während wir frühstücken, checkt Roland den Luftdruck von seinem Hinterreifen, irgendwie fährt sein Bike komisch meint er. Und tatsächlich, der Reifen verliert ordentlich Luft. Da ich keine Zeit verlieren möchte, frage ich die Taxifahrer am Eck, ob man hier einen Reifen reparieren kann. Wie? Ich zeige auf den Reifen, mache ein Pffffft Geräusch und sage „Reparatur“. Sie verstehen was ich meine. Sofort stehen fünf, sechs Mann um Rolands Bike, tasten den Reifen ab und reden wild durcheinander. Dann meinen sie, dass es eine „Reparatur“ hier im Ort gibt, aber der Typ ist zu Mittag (Arme bilden zuerst ein X, dann wird symbolisch Essen in den Mund geschoben. Das Zeichen kennen wir schon, gibt es als Variante auch mit „Beten“  statt „Essen“). Wir besprechen uns mit Vincent, er kann gern vorfahren nach Tash Rabat und wir treffen uns dann auf dem Rückweg zum Song-Kul See. Er verneint, er bleibt lieber bei uns und wir fahren später zusammen, wenn der Reifen repariert ist. Vincent hat wirklich eine Engelsgeduld. Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden.

Die Männer sind zurück und kippen Wasser über den Reifen und suchen nach dem Loch. Roland weiß gar nicht wie ihm geschieht und es tut mir fast ein bisschen leid, dass ich mich eingemischt habe und jetzt Wildfremde an seinem Bike rumdoktern. Aber er lässt es über sich ergehen und rollt das Bike vor und zurück, damit die Männer den gesamten Reifen abtasten können. Als sie wieder Wasser holen, wage ich mich auch mal ran. Ich halte mein Ohr an den Reifen und höre sofort das Geräusch von entweichender Luft. Ein Stück vor sage ich und finde das Loch mit dem Stein drin. Freude ist vielleicht das falsche Wort in diesem Zusammenhang aber irgendwie „freut“ es mich, dass ich das Loch entdeckt habe. Ich packe unser Reparatur-Set aus. Einer der Männer nimmt es sofort an sich, drückt die Kautschuk-Wurst mit dem Werkzeug in das Loch und verklebt es. Zack erledigt. Roland füllt mit dem Airman Luft nach. Der Reifen hält. Wir können weiterfahren, was für ein Glück!

Unser erstes Ziel ist heute Tash Rabat, die Karawanserei aus dem 15. Jahrhundert. Die Route, die Vincent ausgewählt hat, ist fantastisch. Wir fahren wieder abseits der geteerten Straßen und außer ein paar wenigen Jeeps und zwei Bikern aus Italien treffen wir auf keine Menschen. Das Wetter ist perfekt, nicht zu heiß aber schön sonnig. Die Wasserdurchfahrten, die auf dem Track liegen sind easy machbar – ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Flüsse hier aussehen, wenn es mal ein paar Tage geregnet hat.

Der Pass, den wir überqueren liegt wieder auf über 3.000m. Kurz danach erreichen wir Tash Rabat. Oha. Was für ein Menschenauflauf. Ziemlich ungewöhnlich. Ein Reisebus steht auf dem Parkplatz. Eine Gruppe koreanischer Touristen hat sich die Karawanserei angesehen und steht jetzt am einzigen Souvenierstand. Wir unterhalten uns kurz mit einem Koreaner, bevor der Reisebus wieder abfährt. Jetzt sind wir wieder alleine hier. So mag ich das. Vincent und ich sehen uns die historische Stätte an, Roland möchte nicht. Tash Rabat unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von allen anderen Karawansereien, die ich bisher gesehen habe: Sie ist erstens nicht aus Lehm sondern Stein und ist zweitens deswegen unglaublich gut erhalten.

Lange halten wir uns allerdings nicht dort auf, wir haben noch knapp 250 km vor uns und ja, wen wundert’s, uns läuft mal wieder die Zeit davon. Die Reifenreparatur hat uns über eine Stunde gekostet. Es ist 18 Uhr, als wir in Tash Rabat wieder Richtung Norden aufbrechen. Zwar auf Asphalt, aber trotzdem brauchen wir über zwei Stunden, bis wir nach Naryn zur Abzweigung gelangen, die uns wieder in die Berge und auf einen Offroad Track Richtung Songköl, zum zweitgrößten Bergsee Kirgisistans, bringt. Der Track wäre ein Traum, wenn ich was sehen würde. Es ist finstere Nacht, als wir die 33 Haarnadelkurven und den über 3.500m hohen Pass erklimmen. Die Straße ist eng und steinig, ich muss mich höllisch konzentrieren, nicht auf einen Felsen oder noch schlimmer den Abhang runter zu fahren. Ich schwitze und fluche und bereite Roland darauf vor, dass ich heute NICHT mehr kochen werde. Hunger hin und her.

Noch später als gestern erreichen wir unser Ziel. Der Songköl liegt auf 3.000 m. Es hat 4,5°C. Zum Glück habe ich mir vor der Reise einen warmen Daunenschlafsack und eine isolierende Daunen-Isomatte gekauft. Wir bauen unsere Zelte auf, ich putze Zähne und lege mich sofort in meinen warmen Schlafsack. Vincent und Roland kochen sich noch eine Suppe und trinken ein wohlverdientes Arpa (kirgisische Biersorte). Ich schlafe bereits tief und fest, als Roland später ins Zelt krabbelt.

Camping am Evansee

Nach dem Frühstück fahren wir los. Tehran zeigt sich morgens von der gleichen Seite wie abends. Laut und voll. Es herrscht unendlich viel Verkehr und das Straßennetz ist nach wie vor undurchschaubar. Es dauert 1,5 Stunden, bis wir aus der Stadt sind. Entnervt fahren wir auf der Schnellstraße Richtung Qazvin. Nach einer weiteren Stunde nehmen wir die Ausfahrt in die Berge. Endlich wieder Kurven, endlich Berge, diese wunderschöne Landschaft, wie wir sie vom Iran kennen. Und kühle Temperaturen. Vor lauter Fahrfreude verpassen wir den 9.000er und machen bei 9.127 km unser Foto.

Die Schnellstraße wird zur kleinen Bergstraße. Rechts, links, rechts, links. Ich fahr mich wieder schwindlig und lasse den grauenvollen Eindruck von Tehran hinter mir. Bis zum Alamut Castle schaffen wir es leider zeitlich nicht mehr. Wir planen um und wollen die Nacht am Evansee (Ovan Lake) verbringen. In einem kleinen Laden im Dorf Dikin kaufen wir ein paar Vorräte ein und fahren die letzten 30 Minuten weiter die Serpentinen den Berg entlang.

Am See angekommen, ist Roland zuerst etwas enttäuscht, denn wir sind nicht alleine. Es stehen einige Autos verteilt am See, manche in den gemauerten Picknick-Stellplätzen mit Dach, andere direkt am Ufer. Wir bleiben trotzdem und machen uns in einem der Stellplätze breit. Als wir abpacken huscht ein kleiner Fuchs vorbei. Vermutlich auf der Suche nach Essensresten.
Nachdem das Zelt aufgebaut ist, koche ich die Pasta und während wir essen, kommt der erste Besuch. Die Nachbarn links bringen Pfirsiche, Nektarinen, Bananen und Gurken. Perfekt, Obst und Gemüse hatten wir nicht eingekauft, denke ich mir. Als nächstes kommen die Nachbarn von rechts mit Eis. Das wird ja immer besser! Nachtisch. Herrlich. Wir setzen uns auf unsere Stühle und schauen auf den See.

Ich probiere das Eis. Oh Gott, Melone. Ausgerechnet! Es gibt nicht viel, das Roland nicht isst. Melone gehört dazu. Der Grund: Ein traumatisches Erlebnis aus der Kindheit. Irgendwann in den frühen 70ern ist er mit seinen Eltern auf dem Heimweg von Jugoslawien, seine Mama hatte vorher noch Wassermelone gekauft, die er und sein Bruder auf der Rücksitzbank essen. Wassermelone und eine rasante Autofahrt entlang der Küste vertragen sich wohl nicht, denn nach kurzer Zeit übergibt sich Roland im Auto. Seitdem hat er nie wieder Melone angerührt.

Roland packt das Eis aus. Ich warte. Habe mich dafür entschieden, ihn nicht zu warnen. Er probiert es. Ich schaue ihn an. Er schleckt weiter. Nach ein paar Minuten sage ich: „Mhhh, lecker, gell?“ Roland antwortet: „Ja, ich weiß nur nicht, was das für ein Geschmack ist. An irgendwas erinnert er mich.“ Ich bleibe cool, lasse mir nichts anmerken und sage: „Waldmeister, vielleicht?“ „Neee… das ist anders.“ Als er fast fertig ist, platzt es aus mir heraus: DAS IST EIN MELONENEIS! DU HAST MELONE GEGESSEN! Er guckt mich ungläubig an, lächelt und isst weiter. Hoffentlich ist der Melonenbann jetzt gebrochen.

Nach dem Abwasch besuchen wir die Nachbarn links, eine achtköpfige Familie. Oma, Opa, Tochter mit Mann und zwei Kindern, 2. Tochter mit Mann. Wir dürfen uns mit auf dem Teppich setzen, dahinter steht ein Zelt. Die 14jährige Tochter spricht etwas Englisch und so erfahren wir, dass sie aus Tehran sind, und hier öfter zum Camping herfahren. Dabei schlafen die Frauen im Zelt und die Männer auf dem Teppich davor. Was hat Roland Glück, dass er neben mir im Zelt liegen darf. Sie haben neben dem Stellplatz ein großes Feuer gemacht und bieten uns als erstes gegrillte Kartoffeln an. Sehr lecker, Kartoffeln hatte ich schon Wochen nicht mehr. Dann bereiten sie Schaschlick-Spieße vor, die Spieße sind bestimmt 50cm lang, werden mit eingelegtem Hühnchen bestückt und auf das Feuer gelegt. Oh je, bitte kein Essen mehr. Wir sind noch so satt von der Pasta. Und dem Meloneneis. Aber keine Gnade, Roland bekommt einen Spieß mit Reis und einer Joghurt-Auberginen-Knoblauch-Soße, die es in sich hat. Joghurt und Aubergine kann man nur erahnen, der Knoblauch hat unbestritten die Oberhand in diesem Gemisch. Ich esse einen Berg Reis mit der Soße und hoffe, dass damit wenigstens den Mücken der Appetit auf mein Blut vergeht. Nach ein paar netten Gesprächen gehen wir wieder zu uns, wir sind müde und wollen schlafen.

Leider ist bis kurz nach 1 Uhr an Schlaf nicht zu denken, denn Bauarbeiter reparieren irgendwas an den Laternen, ein Laster steht keine 10m weg von unserem Zelt und läuft ununterbrochen und die Arbeiter schreien sich die ganze Zeit irgendwas zu. Die Iraner schlafen also nicht nur lang, sondern sie arbeiten auch bis spät in die Nacht. Irgendwann ist der Lärm vorbei und wir können endlich einschlafen.