Greece Rally Tag 7: Ein dramatisches Finale

Der letzte Fahrtag. 120 km Enduro-Etappe. Gestern Abend hatte die Rennleitung kurzfristig beschlossen, dass ich 10 Minuten vor den Männern starten soll. So könnte man mir im Zweifel helfen, wenn das Bike Mal wieder kopfüber in einer Kurve oder Furche liegt.

Die Liaison zur 120 km-Sonderprüfung ist kurz, keine 9 km und ich fahre zusammen mit Tobi Ebster hin, der als 2. startet. Ich bin ultra nervös und verschwinde kurz vor meiner Startzeit um 9:50 nochmal im Gebüsch für ein Panik-Pipi.

Dann der Schock als ich starten soll – meine Beta springt nicht mehr an. Ich bin wie gelähmt aber Tobi reagiert sofort, schnappt sich das Bike, rollt bergab, zwei andere Fahrer schieben kräftig an und der Motor heult auf. „Gib ordentlich Gas!“ schreit mir Tobi hinterher, als ich über die Startlinie fahre.

Mit dem Wissen, dass mich bald die ersten  schnellen Fahrer einholen werden, gebe ich mehr Gas als sonst. Und die ersten 7 km bleibe ich auf Platz 1, dann brettert Svitko an mir vorbei. Tobi bei Kilometer 12, kurz darauf Arunas. Immerhin 12 km lang stand ich auf dem Treppchen.

Die heutige Strecke liegt mir viel besser als die Etappe von gestern. Es ist  abwechslungsreicher und technisch anspruchsvoller. Nach einem kurzen Stück Schotter-Highway bergab geht es auf einem schmalen Single-Trail durch den Wald und mittlerweile ducke ich mich nicht mehr vor jedem Ast, der über dem Weg hängt. Einfach volle Kanne durchfahren. Nicht an Geschwindigkeit verlieren. Der Helm hält das schon aus. Bisher haben mich nur drei weitere Fahrer überholt was mich weiter anspornt am Gas zu bleiben und so fahre ich nach einer Kurve aus Versehen gerade aus steil den Berg hoch anstatt nach rechts weiter auf dem Track. Verdammt. Ich muss das Bike rückwärts 20m runter rollen. Da höre ich Motorgeräusche und kurze Zeit später rast Wolfgang Payr links neben mir den Berg hoch. Mein wildes Gefuchtel hat er nicht gesehen, die drei anderen Fahrer, u.a. Michele aus Mailand, hinter ihm schon. Sie nehmen den richtigen Weg und sind jetzt vor Wolfgang. Wolfgang dreht sein Bike in Windeseile und fragt, ob ich Hilfe brauche. Ich winke ab. Er düst weiter. Es dauert fünf Minuten und kostet mich einiges an Kraft, bis ich mein Bike sicher unten habe und weiter fahren kann. Ich ärger mich sehr über den Fehler und versuche, wieder in meinen Rhythmus zu kommen. Es dauert nicht lange, dann werde ich wieder von Michele überholt. Und nach ein paar Kilometern und Kreuzungen erneut. Navigation scheint heute nicht so seine Stärke zu sein, aber ich freue mich, dass ich zum ersten Mal so richtiges Rennfeeling erlebe. Denn der schnellste Fahrer ist nicht unbedingt der beste und so bin ich wieder hoch motiviert, heute endlich Mal einen guten Platz im hinteren Mittelfeld zu belegen. Ich verkneife mir sogar sehr lange die erste Bio-Pause. Erst als ich es wirklich nicht mehr aushalte, bleibe ich kurz stehen um zu piseln und gleichzeitig einen Energieriegel zu essen. Nur keine Zeit verlieren.

Dann bei Kilometer 60 übersehe ich eine vertikale Spurrille, mein Vorderrad klappt weg und ich knalle bei ca. 40 km/h mit der rechten Seite auf den harten Waldboden. Ich drehe noch im Liegen den Kopf, kein Fahrer hinter mir. Ich springe auf, hebe das Bike, starte es und fahre los. Sofort merke ich, dass die Gabel leicht verbogen ist. Egal. Ich muss weiter. Jetzt spüre ich auch einen leichten Schmerz in der rechten Schulter. Egal. Ich muss weiter.

Die nächsten 20 Kilometer sind sehr schwer zu fahren, immer wieder geht es über steinige Passagen bergauf, dann auf meist sehr engen und ebenfalls steinigen Pfaden bergab. In einer engen Kurve kippt mir das Bike. Ich hebe es auf. Zwei Kurven weiter nochmal. Die Beta liegt wieder. Ich höre ein Motorrad über mir, als der Fahrer in Sichtweite ist, brülle ich so laut es geht, damit er mich wahrnimmt und nicht in mich rein fährt. Als ich die Beta aus der Kurve schiebe, merke ich, dass sie Kühlflüssigkeit verliert. Es tropft nicht nur, es läuft wie ein Wasserhahn. Und sie dampft wie ein Wasserkessel. In meiner Verzweiflung rufe ich meinen Mechaniker Luki an. Er sagt, ich soll Wasser nachfüllen aber ich bekomme den blöden Deckel nicht abgeschraubt. Fünf weitere Fahrer düsen an mir vorbei. Ich könnte heulen und versetze der Beta einen wütenden Tritt.

80 Kilometer lief alles wunderbar (ok, bis auf den Sturz) und jetzt zickt das Bike. Ich ärgere mich unglaublich und will gerade  weiterfahren, da kommen Jörg und der Marshall Nikos um die Ecke. Sie bilden das Schlusslicht. D.h. ich bin wieder am Ende angekommen. Nikos sagt, dass in 200m ein Wassertank ist und ich dort den Kühler auffüllen kann. Und dass das Stück bergab jetzt der steilste und schwierigste Part ist. Mein größtes Problem beim Downhill ist, dass ich mit den Händen verkrampfe und den Lenker so stark festhalte, dass sich das Vorderrad nicht frei bewegen kann. Ich falle erneut. Nikos sieht, dass ich am Ende bin und bietet mir an, mein Bike die letzten 100m runter zu fahren. Ich soll laufen. Am Wassertank angekommen schraubt er den Deckel vom Kühlflüssigkeitsbehälter ab, ich fülle Wasser nach und fahre weiter. Nikos folgt mir.

Ich bin körperlich erledigt, will aber die verlorene Zeit so gut es geht aufholen. Die Strecke durch den Wald ist ein Traum, der Boden griffig und wo ich kann, schneide ich die Kurven. Kampflinie. Keine Ahnung, woher ich die Motivation und Kraft nehme, in einem so hohen Tempo weiterzufahren. Bis zu Kilometer 86, als mein Bike auf einmal ausgeht. Und nicht mehr anspringt. Mir bleibt das Herz stehen. Das darf nicht sein. 30 km vor dem Ziel. Nichts geht mehr, die Beta macht keinen Mucks und ich weiß sofort, was los ist, denn ich hatte das gleiche Problem bei unserer ersten Testfahrt vor der Rally. Im Kabelbaum ist ein Anschluss kaputt. Die Batterie hat keinen Ladestrom und wird leer gesaugt. Und so ist es – die Batterie zeigt „Low“ an. Ich fange an zu heulen. Aus Verzweiflung, Wut, Erschöpfung. Die Emotionen gehen mit mir durch. Ich bin jeden Tag durchs Ziel gekommen. Sechs Tage lang. Und jetzt, am 7. und letzten Tag der Rally soll 30 km vor dem Ziel Schluss sein? Ich rufe wieder Luki an und erzähle ihm unter Tränen, was passiert und flehe ihn an, herzukommen und mein Bike zu richten. Ich will heute durchs Ziel fahren. Ich will kein DNF (did not finish) in der Ergebnisliste. Kein Abschleppen mit dem Trailer ins Camp, keinen Walk of Shame. Luki willigt ein und ich schicke ihm meinen Standort. Nikos will die Batterie seiner KTM in die Beta einbauen und ich gebe ihm mein Werkzeug. Aber auch mit seiner Batterie springt die Beta nicht an. Er versucht es mit Ankicken. Kein Erfolg. Nikos tropft der Schweiß von der Stirn und ich erkläre ihm, dass es ein Problem mit dem Kabelbaum ist, aber er will es nochmal mit anschieben versuchen. Rumsitzen und warten ist für ihn keine Option. Nach unendlich langen 30 Minuten kommt endlich Luki. Er baut den Tank ab und findet das kaputte Kabel. Löten geht hier natürlich nicht also drückt er die losen Enden mit einer Zange so fest es geht zusammen, baut den Tank wieder auf und die Beta startet. Ich packe das Werkzeug in meinen Rucksack, setze meinen Helm auf und fahre zu Nikos. Er konnte seine KTM mit dem Kickstarter antreten, sieht mich an und sagt: „Go Pam, finish the f*cking race.“

Ich mobilisiere nochmal alle meine Kräfte und jage über die Schotterstraßen schneller denn je. „Where there is a will, there is a way!“ ist das Motto dieser Rally und in keinem Moment hat das für mich besser gepasst als jetzt. Mir tut alles weh. Schulter, Knie, Hände. Jeder Muskel, jedes Gelenk in meinem Körper bettelt, dass ich aufhöre. Aber mein Wille, dieses Rennen zu Ende fahren, hat die Kontrolle über meinen erschöpften Körper übernommen. Wie in Trance stehe ich auf dem Bike und habe das Ziel fest vor Augen. Kaum zu glauben, aber ich muss sogar kurz lächeln, weil ich so glücklich bin, dass ich weiter fahren kann. Bei 118 km erreichen wir Asphalt und kurz bevor es wieder auf den Track gehen soll, stirbt die Beta erneut ab. 10 km sind es bis zum Ziel. Mein Bike springt nicht mehr an. Nikos hält neben mir und mir wird schlagartig klar, dass das jetzt das Ende ist. „Same Problem?“ fragt er mich. Ich nicke und habe wieder Tränen in den Augen aber akzeptiere diesmal die Niederlage. Ich kann es nicht mehr ändern. Mit meinem Zurrgurt schleppt mich Nikos zum Hotel. Ich bedanke mich und entschuldige mich mehrmals bei Nikos. „No, I am sorry for you“ sagt Nikos. „Because for me you are Champion.“ In der Ergebnisliste steht später das von mir so gefürchte DNF. Trotzdem erlebe ich bei der Siegerehrung später eine große Überraschung.

Noch am selben Abend findet die Siegerehrung statt. Dass ich eine Trophäe für den 1. Platz der Damen erhalte, war von Anfang an klar. Und irgendwie hatte es einen fahlen Beigeschmack, weil ich ja die einzige Starterin war. Also keine große Leistung, könnte man meinen. Ich hatte ein paar Tage Zeit, darüber nachzudenken. Für mich bedeutet der 1. Platz nicht, dass ich die beste oder schnellste Fahrerin war. Das wäre ja auch Blödsinn, denn es gab keinen Vergleich. Ich sehe den 1. Platz als Auszeichnung, dass ich den Mut hatte, hier als Anfängerin teilzunehmen, jeden Tag zu starten und es geschafft habe, insgesamt 1000 km Offroad zu bewältigen. Bei einer sehr anspruchsvollen Rally auf Factory-Level, die professionelle Dakar-Fahrer als Training nutzen. Und deswegen freue ich mich über die Trophäe für den 1. Platz der Damen genauso wie über den 3. Platz (von 4!) in der Klasse 300 bis 399 ccm. Den ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte und der mich für kurze Zeit das dramatische Ende des heutigen Fahrtags vergessen ließ.

Im Overall-Ranking habe ich es übrigens auf Platz 26 von 30 Startern geschafft.

Für mich steht jetzt schon fest, dass ich nächstes Jahr wieder eine oder vielleicht sogar zwei Rallies fahren werde. Aber davor muss sich Luki ganz intensiv um meine Beta kümmern.

Fotos: Matteo Longobardi

 

12 thoughts on “Greece Rally Tag 7: Ein dramatisches Finale

  • 13. September 2021, 18:13

    Du bist so eine coole Sau! Meinen allergrößten Respekt!

    • Pamela
      14. September 2021, 2:05

      Danke dir 🙏

    • Pamela
      14. September 2021, 2:02

      🙏😘

  • Andreas Steinhofer
    13. September 2021, 20:06

    Klasse Pamela. Respekt!
    Bis bald hoffentlich beim nächsten Flattrack Rennen.

    • Pamela
      14. September 2021, 2:03

      Wir sehen uns in 10 Tagen! 🙂

  • Amelie Mesecke
    13. September 2021, 20:44

    PAM ich hab Tränen in den Augen! Du bist meine Heldin…sei stolz, was für eine tolle Lebenserfahrung.
    Bedenke Tag 0 Offroad in Almeria 😅🤘🏻Echt super Entwicklung…

    • Pamela
      14. September 2021, 2:02

      Danke dir. Oh Gott ja Tag 0 😅

  • 13. September 2021, 21:15

    Wohooo! Großartige Leistung! Und auf das eine DNF ist geschissen, denn nicht du hast ja aufgegeben. Hut ab! ( jetzt schnell erholen. In 14 Tagen ist krowdrace 😄)

  • Matthias
    14. September 2021, 9:36

    Krasse Pamela! Respekt und tiefe Bewunderung für deine Entwicklung und Leistung! Kannst wirklich stolz auf dich sein. What’s next?

    • Pamela
      16. September 2021, 14:11

      Danke. Mein nächstes Ziel: Schneller werden 😉

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