Tag 3 am Pamir

Ich wache auf, weil ich Stimmen höre. Ein Blick aufs Handy. Es ist 7 Uhr. Draußen unterhalten sich mehrere Frauen. Ich öffne das Zelt einen Spalt und sehe drei, nein vier Frauen unter den Bäumen am Boden knien. Sie tragen geblümte Kleider und ein buntes Kopftuch. Neben ihnen am Boden steht jeweils ein Metall-Eimer. Sie sammeln diese weißen Früchte, die ich gestern probiert habe. Oh oh. Wir zelten auf ihrer Ernte.

Ich wecke Roland auf, erzähle ihm was ich gesehen habe. Ihm ist es egal aber ich habe das Gefühl, dass wir die Frauen hier bei der Arbeit stören. Irgendwie fühle ich mich gerade etwas unwohl. Außerdem… Wie sollen wir duschen, wenn sie hier sind?

Als um 8 Uhr der Wecker klingelt, wagen wir uns aus dem Zelt. Die Frauen sind natürlich noch da. Ich mache erstmal Kaffee und wir beschließen abzuwarten, bis sie fertig sind. Wir haben ja keinen Zeitdruck. Als wir gerade unser Frühstück essen (Kekse und das frische Obst), bringt uns eine der vier Frauen ein Stück Brot. Sie fragt: Country? Und wir antworten: Germania. „Oh“ sagt sie, „Michael Schumacher“. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Von Merkel bis Matthäus war schon alles dabei – aber noch nie Schumacher. Und dann ergänzt sie: „Invalid.“ Ja, leider nicke ich. Sie erzählt uns noch, dass die Frucht, die sie sammeln „Tut“ auf tadjikisch heißt – den russischen Namen hab ich vergessen – und dass daraus in der Fabrik Marmelade gemacht wird. (Wie gut man sich doch unterhalten kann, auch wenn man die Sprache des anderen nicht spricht).

Nach einer guten Stunde sind sie tatsächlich fertig, verabschieden sich und gehen mit ihrer Ernte davon. Endlich können wir duschen. Roland fängt an und stellt sich in Badehose unter den Ortlieb Wassersack mit Duschaufsatz (keine Werbung, ich werde hierfür nicht bezahlt. Ich liebe ihn auch so.). Ich hatte extra Travelseife gekauft, die man für alles verwenden kann: Haare und Körper, Wäsche waschen, Zähne putzen, Geschirr abwaschen etc. und eben auch in Flüssen, Seen und Salzwasser. Also auch unter einem Obstbaum, hoffe ich.

Das Wasser reicht genau für uns beide, mit dem zweiten Sack spülen wir unser Frühstücksgeschirr ab und füllen unsere Camelbaks. Dann packen wir unsere Bikes und fahren los.

Nach gut 100 km sind wir in Khorog. Keine schöne Stadt, sie ist laut und voll, es gibt einen „Khorog Fried Chicken“ und viel zu viele Menschen. Es gefällt uns gar nicht, und so kaufen wir hier nur in einem erschreckend gut sortierten Supermarkt ein (es gibt sogar Löwenbräu Bier!!) und fahren weiter in Richtung „Hot Springs“. Der Weg führt von der Hauptstraße hoch in die Berge. Auf einer Offroad Piste fahren wir an einem klaren und breiten Gebirgsfluss entlang. Rechts und links von uns Berge, die von der untergehenden Sonne angestrahlt werden. Das Panorma ist großartig. Fast wie in Tirol meint Roland. Ich entdecke eine Stelle am Fluss mit ein paar Bäumen, etwas entfernt von der Straße. Wir haben unseren Platz für heute Nacht gefunden und lassen die Hot Springs sausen.

Der Fluss ist eiseiseiskalt. Perfekt um unsere Getränke zu kühlen. Wie gestern füllt Roland unseren Duschsack und hängt ihn an den Baum. Zum Abendessen gibt es wieder Spaghetti mit Tomatensauce. Also eigentlich essen wir jedes Mal Pasta, wenn wir campen. Geht schnell, man braucht wenig Geschirr und ich muss nur ein Gericht kochen, das wir beide essen, da ich ja Vegetarierin bin. Roland besteht lediglich darauf, dass die Sauce gut gewürzt ist und so kaufe ich jedes Mal eine frische Zwiebel oder Knoblauch. Chili-Flocken, Oregano und Salz/Pfeffer hab ich auf Reisen sowieso immer dabei. Wir sind Abenteurer aber keine Asketen.

Felgen-Reparatur auf tadjikisch

Nach dem Frühstück fahren wir zum Bike House, das 500m entfernt von unserem Hostel liegt. Aziz, der Mechaniker mit dem wir geschrieben hatten, bearbeitet gerade eine Felge – die zu einer 1200 GS gehört. Die Belgier sind hier. Genau wie ich hat auch Michelle einen Schlag in seiner Felge – Speiche wohlgemerkt.

Nach einer Stunde ist meine Felge dran. Aziz demontiert den Reifen, dann holt er einen uralten Bunsenbrenner heraus und zündet ihn an. Er hält die Flamme direkt an die erste Stelle mit dem Schlag. Abenteuerliche Methode, aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss Aziz vertrauen. Nachdem er die Felge ausreichend erhitzt hat, holt er Hammer und ein Hartgummistück und bearbeitet die Stelle so lange, bis die Felge wieder normal aussieht. Das gleiche macht er mit dem kleineren Schlag. Roland hilft ihm und hält die Felge dabei fest. Nach 20 Minuten sind sie fertig und die Felge fast ganz gerade. Zum Schluss ein bisschen Sprühlack drauf und der Reifen wird wieder montiert, aufgepumpt und das Rad eingebaut. 100 Somoni macht die Reparatur, keine 10€. Ich bin erleichtert und froh, dass ich die Reise fortsetzen kann.

Aziz ist nicht nur Mechaniker, er organisiert auch Touren auf dem Pamir Highway und gibt uns viele Tipps zur Route, welche Etappen man an einem Tag schafft, welche Teilstrecken schwierig sind und wo man am besten übernachtet. Wir verabreden uns für heute Abend zum Essen, dann fahren Roland und ich ins Hostel. Da ich auf dem Pamir Highway viel campen möchte und es auch untertags unter 10°C werden kann, packe ich meine Taschen um. Warme Sachen nach oben und Camping Ausrüstung griffbereit. Außerdem bekomme ich meine Tadjikische SIM Karte von MegaFon für 10$. Interessanterweise haben die Karten hier unzählige Freiminuten und 3GB Datenvolumen – wobei die Messenger wie Whatsapp und Facebook frei sind und kein Datenvolumen verbrauchen. Ich bin im Internet-Himmel.

Aziz holt Roland, Philippe und mich um 20 Uhr mit dem Taxi ab und wir fahren in die „Bundes-Bar“. Auf dem Logo der Bar ist der österreichische Bundesadler und es gibt Schnitzel und Pasta. Nach fast 13.000 km Fahrt sind wir der (quasi) Heimat immer noch nicht entkommen. Wenigstens schmeckt das Bier nicht so gut wie daheim, Bierbrauen können halt doch nur die Bayern.

Hallo Tadjikistan!

Um 8.30 Uhr hab ich die E-Mail mit unseren Tadjikistan-Visa im Posteingang. Da im Guesthouse der Drucker kaputt ist, werden wir später einfach in irgendein Hotel fahren, um das Visum auszudrucken.

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von Khalid und seiner Familie. Sein Vater betont noch einmal, dass wir bei ihm daheim herzlich willkommen sind. Egal ob jetzt oder später. Und er fügt hinzu, dass es in ein paar Jahren sicherer für uns ist, wenn der Krieg vorbei ist. Wir tauschen unseren Facebook-Kontakt aus und starten los. Im Asia Hotel direkt um die Ecke frage ich nach, ob sie unser Visum ausdrucken können. Das Personal ist super nett und ruckzuck halte ich das Visum in den Händen.

Wir fahren keine Stunden zur Grenze und die Ausreise aus Usbekistan wäre in 10 Minuten erledigt – wenn ich nicht mein Dokument für die Motorrad-Registrierung verschlampt hätte. Ich suche in allen Taschen, finde es aber nicht. Was bin ich froh, dass die usbekischen Grenzbeamten auch Computer nutzen. Der Beamte findet meine Daten im „Internet“ wie er sagt. Er zeigt mir am Bildschirm die Maske. Meine Passport-Nummer, Zickis Kennzeichen, Chassis Nummer und Farbe, alles da. Puh Glück gehabt! Ansonsten „Big problem“ meint er. Ich danke ihm tausendmal und nach wenigen Minuten dürfen wir weiter zum tadjikischen Grenzposten fahren. Wir werden mit einem Lächeln empfangen, unser Reisepass wird gescant, ein Foto gemacht und schon sind wir in Tadjikistan.

Auf dem Weg nach Dushanbe liegt der Ort Panjakent und hier gibt es eine Touristeninfo, die leider bereits zu hat (geöffnet von 10-14 Uhr), als wir dort ankommen. Hier wollten wir uns eigentlich eine SIM Karte kaufen, angeblich 3GB für 5$. Dann eben nicht. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In der Bank schräg gegenüber wechseln wir Euro. In Tadjikistan gibt es – anders als in den vorherigen Ländern – keinen Schwarzmarkt zum Tauschen. 11 Somoni sind 1 Euro. Endlich mal wieder ein Wechselkurs, bei dem man keinen Rucksack voll Geld mit sich herumschleppen muss.

Tadjikistan empfängt uns mit einer wunderbaren Panoramastraße, die durch eine mächtige Bergkette mit Gipfeln über 5.000m führt. Nach so viel Wüste in Usbekistan und Turkmenistan genießen wir die Kurven und die Bergelandschaft und sind wieder mal erstaunt, wie schnell sich eine Landschaft und die Natur innerhalb weniger Kilometer ändern können. Wir fahren den Fluss Varzob entlang und Roland bekommt Appetit auf Fisch. An einem Restaurant mit Sitzplätzen direkt am Wasser halten wir an und Roland bestellt sich so was wie eine Forelle, die aufgeschnitten wurde und von allen Seiten angebraten ist. Ich esse Salat – was sonst.

Im Dunkeln erreichen wir Dushanbe und das Green House Hostel, eine Lonely Planet Empfehlung und Treffpunkt für viele Biker und Radler. Sie haben kein freies Zimmer mehr und wir versuchen es im „Hello Dushanbe“ keine 100m weiter. Hier bekommen wir ein super schönes Zimmer mit Kingsize Bed und 20qm großem Bad für 30$ inkl. Frühstück. Unsere Bikes parken wir im Innenhof neben einer Africa Twin, die Philippe aus Wien gehört. Wir unterhalten uns kurz mit ihm. Philippe hat ein technisches Problem bei seiner neuen Africa Twin, die Gabel ist undicht und er hat morgen ebenfalls einen Termin bei Aziz im Bike House.

Ende gut, alles gut.

Wir werden von einem zarten Miau geweckt. Als wir die Tür öffnen, sitzen drei Katzen davor und schauen neugierig ins Zimmer.

Mohammed und Mina machen uns Frühstück und nach einem kurzen Telefonat haben wir die Bestätigung, dass wir unser Visum gegen 13 Uhr abholen können! Wir sind unglaublich erleichtert.

Vorher machen wir eine kurze Stadtrundfahrt mit dem Auto und gehen in einem großen Park spazieren. Es ist der iranische Sonntag – also Freitag – und viele Iraner gehen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Volleyball spielen. Überall im Park sind Netze aufgespannt. Seit ein paar Jahren ist die iranische Volleyball-Nationalmannschaft sehr erfolgreich und die Leidenschaft ist auf die Bevölkerung übergegangen.

Als wir an einem Riesenrad vorbeilaufen, bleiben Roland und ich stehen. Wir denken beide das gleiche: Ozapft is. Wie gern hätten wir jetzt eine kühle Maß in der Hand.

Punkt 13 Uhr treffen wir unseren Kontakt in Mashhad und Roland strahlt über beide Ohren, als er unser Pässe mit den Visa in der Hand hält. Unser Abenteuer kann weitergehen!

Wir fahren zu Mohammed und Mina, packen und machen uns auf Richtung Sarakhs zur Grenze. Es sind knapp 250km und auf unserer letzten Strecke gibt der Iran alles, um uns den Abschied so schwer wie möglich zu machen. Der Ausblick auf die Berge ist mal wieder gigantisch. Ich möchte so gern noch mehr von diesem wundervollen Land entdecken und ich bin traurig, dass wir den Iran heute verlassen. Andererseits freue ich mich, dass mir viele Gründe bleiben, nochmal hierher zu reisen.

Von wegen heute verlassen. Wir erreichen um 19 Uhr die Grenze. Sie ist geschlossen. Verdammt. Glücklicherweise ist keine 500m entfernt das Hotel Doosty, Kategorie Truckstop. Die Zimmer sind alt und abgewohnt und ich bin froh meinen Hüttenschlafsack zu haben. Aber die Betreiber sind sehr nett, lassen uns in Dollar bezahlen (12,50€ inkl. Frühstück für das Zimmer), da wir ja keinen einzigen Rial mehr haben.

Das Abendessen ist überraschenderweise fantastisch, Roland hat mal wieder Fleischspieß und ich Salat. Die Trucker vom Nebentisch reichen uns zum Nachtisch einen Teller Melone rüber. Roland isst zwei Stück. Der Iran hat uns verändert.