Hasankeyf – 12.000 Jahre Geschichte sind bald Geschichte.

An der Tankstelle neben dem Hotel prüfen wir Reifendruck, ich schmiere meine Kette und wir spritzen zumindest Licht und Blinker sauber, für eine komplette Wäsche bleibt keine Zeit. Dann geht’s los Richtung Batman. Allerdings müssen wir 5 Minuten später wieder anhalten für ein Foto, da wir die 4.000 km erreicht haben. Wir haben beschlossen, alle 1.000 km ein Foto zu machen und zwar exakt an der Stelle, wenn der km-Zähler von Rolands nineT umspringt. Egal, was sonst noch auf dem Bild zu sehen ist.

Wir nehmen die gut ausgebaute Schnellstraße nach Batman, da wir heute ausnahmsweise bereits am Nachmittag im Hotel ankommen, unser Gepäck abladen und dann weiter nach Hasankeyf fahren wollen. Wir überqueren den größten Stausee der Türkei, den Atatürk-Stausee, über die Nissibi Brücke und abgesehen von der schönen Landschaft war die Brücke das Highlight der heutigen Etappe bis Batman.

Nachdem wir eingecheckt haben, fahren wir Richtung Hasankeyf am Tigris entlang. Die Landschaft ist vor allem eines: Gelb. Die Berge haben einen sandig-gelben Farbton und die Felder auch, da die Gegend vor allem vom Getreideanbau lebt.

Hasankeyf ist ca. 30 Minuten entfernt und wir sind sehr froh, dass wir uns diesen 12.000 Jahre alten Ort überhaupt noch ansehen können. Bereits vor ein paar Jahren hatte die Süddeutsche Zeitung geschrieben, dass der Ort bald in einem Stausee untergehen wird und seitdem gab es immer wieder Berichte dazu in deutschen Medien.

Die türkische Regierung hat in den letzten Jahren 15 Staudämme entlang des Euphrat und Tigris bauen lassen, bei Hasankeyf entsteht seit 2006 Staudamm Nr. 16 und weitere 8 sind geplant. Ich kenne mich nicht im Detail mit Staudämmen aus, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es nicht gut sein kann, so stark in die Natur einzugreifen.

Vor allem wenn dafür eine so bedeutende, historische Stätte einfach im Wasser versinken soll. Die alten Höhlensysteme wurden bereits mit Sand zugeschüttet, antike Bauten, wie Brückenpfeiler, Moscheen usw. werden Stück für Stück abgebaut und 75 km entfernt wieder aufgebaut. Menschen werden in Neubausiedlungen mit Blick auf den Stausee (welche Ironie) umgesiedelt, für die sie auch noch bezahlen müssen.

Wir sitzen am Tigris und unterhalten uns mit dem Restaurant-Chef und anderen Einheimischen über diese Situation. Sie meinen, es hängt von den Wahlen am Sonntag ab, ob der Bau und damit die Zerstörung ihrer Heimat gestoppt werden kann. Wir beten, dass das noch gelingt.

 

Kültür

Heute steht Kültür auf dem Programm. Auf dem Weg zum Nemrut Dagi stoßen wir zufällig auf eine alte Steinbrücke über einem Fluss, der mich mit seinem türkisblauen Wasser und den hellen Kiesbänken an meine geliebte Isar erinnert. Von der Brücke aus blickt man direkt in die Felsen, aus denen der breite Fluss entspringt. Einige Einheimische baden, offensichtlich Familien mit Kindern und zwischen großen Steinen im Wasser haben sie ganze Wassermelonen platziert. Wir überlegen kurz, ob wir ebenfalls baden gehen, werden dann aber von dem Eigentümer der kleinen Pension an der Brücke angesprochen und auf einen Cay eingeladen.

Er lebt seit Jahren in Tirol und verbringt die Sommer hier an der Cendere Bridge und führt die Pension. Die Brücke wurde 200 v. Chr. von den Römern erbaut, erzählt er uns. Früher kamen viele Touristen hierher, unter anderem auch das Rotel, das  selbstrollende Hotel aus Tittlingen, das Roland natürlich kennt. Aber vor drei, vier Jahren ist der Tourismus massiv eingebrochen. Ab und an kommen ein paar Einheimische, die hier Urlaub machen. Es gibt noch viele weitere antike Sehenswürdigkeiten in dieser Gegend, aber auch dort sieht man keine Touristen mehr. Wir alle wissen, woran das liegt.

Nach zwei Cay setzen wir unsere Fahrt zum Nemrut Dagi fort. Der Nemrut, mit 2.150m eine der höchsten Erhebungen im Taurusgebirge, ist nicht nur ein Vulkan, sondern auch Grabstätte und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe. Die gut ausgebaute Straße führt bringt uns in einer knappen halben Stunde von der Brücke auf den Berg.

Bis zum Besuchszentrum dürfen wir fahren, dann müssen wir die Bikes auf dem Parkplatz stehen lassen und ein Bus-Shuttle zur Grabstätte nehmen. Es ist das erste Mal, dass unsere voll beladenen Bikes unbeaufsichtigt sind und uns nicht ganz wohl dabei. Der Shuttlefahrer meint, es sei kein Problem und unsere Sachen sind hier sicher. Wir vertrauen ihm, packen aber trotzdem zumindest alle wichtigen Dokumente in unsere Tankrucksäcke und steigen in das Shuttle. Leider müssen wir dann noch weitere 20 Minuten steil den Berg hinauf gehen, was eigentlich konditionstechnisch kein Problem ist. Aber die Fahrerei in der Hitze hat uns zugesetzt und wir schwitzen in unseren Motorradklamotten.

Zum Glück lohnt sich der anstrengende Aufstieg. Oben erwartet uns eine großartige Kultstätte mit drei Terrassen, die um einen aufgeschütteten Geröllhügel angeordnet sind. In dem Hügel soll sich angeblich das Grab des Antiochos befinden, bisher konnte das Innenleben noch nicht erforscht werden, da man Angst hat, dabei zu viel zu zerstören. Auf den Terrassen stehen riesige, aus Stein gehauene Statuen, die Antiochos selbst sowie Herakles, Zeus und andere Götter darstellen. Ihre Köpfe wurden durch Erdbeben und Blitzeinschlag abgetrennt und liegen nun direkt vor den Körpern. Ich hatte gelesen, dass die Statuen besonders bei Sonnenauf- bzw. -untergang ein Erlebnis sind, da das Licht zusammen mit dem rötlichen Stein eine faszinierendes Farbenspiel ergibt. Aber auch so sind wir tief beeindruckt von dem über 2.000 Jahre alten Denkmal.

Auf dem Weg nach unten treffen wir den allerersten Motorradreisenden überhaupt, einen Russen auf einer Suzuki. Er ist alleine unterwegs auf einer Tour um das Schwarze Meer, seine Frau muss arbeiten. Er empfiehlt uns noch Marokko als Reiseziel und fährt ab.

Wir machen uns ebenfalls auf den Weg und fahren eine wunderschöne Strecke durch den Nemrut Nationalpark. Es ist bereits nach 19 Uhr und unser eigentliches Tagesziel ist noch knapp 150 km entfernt. Also müssen wir umplanen und steuern die nächstgelegene Stadt Kahta an. Katha wirkt leider sehr heruntergekommen und die zwei Hotels, die ich über das Navigationsgerät gefunden habe, gefallen uns gar nicht. Ich möchte gern in die 50 km entfernte Großstadt Adiyaman, denn dort finden wir sicher ein Hotel. Roland will lieber weiter der Nase nach Richtung Süden zu einem Stausee und irgendwo auf der Strecke wird sich schon eine Unterkunft auftun. Das ist mir aber zu stressig, es wird bereits dunkel. Ich setze mich durch und bis wir in Adiyaman ankommen, herrscht eine klitzekleine Spannung zwischen uns.

Am Ortseingang von Adiyaman sehe ich ein Schild zum Grand Isias Hotel und steuere es an. Der Preis für ein Doppelzimmer mit Frühstück liegt bei 180 Lire also checken wir ein, bestellen zwei EFES aufs Zimmer, schauen die Fußballspiele in der Wiederholung und haben uns wieder lieb.

Der erste Offroad-Tag.

Was gestern Abend bei unserer Ankunft noch wie eine kleine, ruhige Seitenstraße aussieht, entpuppt sich heute Morgen als offensichtliches Zentrum des Dorfes. Unsere Bikes sind eingeparkt von einem Traktor, einem Moped und Waschkörben voll mit weißen Klumpen  – ich schätze eine Art Käse. Überall wuseln Menschen, es ist laut und geschäftig. Mit meinen schweren Taschen in der Hand stehe ich leicht verzweifelt auf dem Bürgersteig. Der Besitzer vom Laden neben unserem Hotel erkennt das Dilemma und bittet den Fahrer des Mopeds wegzufahren, das so nah an Rolands nineT steht, als wolle es mit ihr kuscheln. Nun kann Roland zumindest sein Bike manövrieren und dann meines soweit weg von den weißen Klumpen, dass auch ich aufpacken kann.

Die heutige Etappe hat es in sich. Kilometermäßig und auch landschaftlich. Wir bewegen uns ausschließlich durch die pontischen Berge weiter Richtung Süden, nach Malatya. Teils auf Asphalt, teils auf Offroad Tracks. Es ist das erste Mal, dass ich so voll beladen auf losem Untergrund unterwegs bin. Und es klappt gut! Ich spüre das Gewicht fahrtechnisch gar nicht, merke lediglich, dass bei den sehr steilen Passagen ein paar PS mehr ganz nett wären.  Es ist heiß und die Fahrt anstrengend, was bin ich froh, dass ich mich für einen Camelbak entschieden habe. Die 1,5l sind im Nu leer und ich fülle Wasser aus meiner Alu-Trinkflasche um.

Wir bewegen uns nun schon eine ganze Weile durch die Berge, ohne eine Spur von Zivilisation. Der Blick auf die umliegenden Berge ist atemberaubend. Immer wieder bleiben wir stehen, machen Fotos und bestaunen das Farbenspiel der Natur. Es gibt graue, stark zerklüftete Felswände, ein Stückchen weiter sind die Berge glatt und mit einem feinem roten Sand bedeckt, wir fahren durch grüne Vegetation und dann wieder durch eine karge steinwüstenähnliche Landschaft.

Irgendwann erreichen wir ein kleines Bergdorf. In der Mitte des Dorfplatzes steht ein Brunnen, daneben ein großer Baum und in seinem Schatten eine Bank. Perfekt für eine Pause. Wir halten an und es dauert nicht lange, bis aus dem kleinen Dorf, das aus maximal 10 Häusern besteht, zuerst ein alter Mann, dann noch einer, dann Kinder zu uns kommen. Als würden wir uns schon seit ewigen Zeiten kennen, geben uns die alten Männer die Hand, und murmeln durch den fast zahnlosen Mund „Merhaba“, was Guten Tag heißt. Und dann reden sie weiter. Gucken uns an und reden auf uns ein. „Almanya“ sage ich, damit sie kapieren, dass wir kein Türkisch sprechen. Egal, sie reden weiter, freundlich und langsam aber trotzdem verstehe ich kein Wort. Irgendwann holt Roland die Straßenkarte und zeigt auf den Ort Malatya. Es fallen die Worte „Autobahn“ und als wir nicken um wenigstens irgendwie an dem Gespräch teilzunehmen, wirken sie erleichtert. Sie rufen einen jungen Mann und wie sich herausstellt, soll er uns zur Hauptstraße bringen. Was wir ja eigentlich gar nicht wollen, wir haben ja unseren Track. Aber wir haben keine Chance. Der junge Mann holt sein Moped, wir verabschieden uns von den anderen und fahren los.

Nach knapp 10km sind wir auf der Hauptstraße – wir bedanken uns und er möchte noch ein Selfie machen. Wir fahren ein kurzes Stück auf der Straße und biegen sobald es möglich ist, wieder ab in die Berge.

Kurz vor Malatya kommen wir in unsere erste Militärkontrolle. Es stehen ca. 8 Soldaten um uns herum, außerdem ein paar Zivilisten und Kinder. Eine komische Gruppe, denke ich mir. Ich habe hinter Roland angehalten und gebe meinen Führerschein und Personalausweis einem Soldaten und er geht damit vor zu Roland. Beide reden irgendwas und der Soldat zeigt zuerst auf meinen Führerschein und dann auf mich und sagt „No Motorcycle“. Gut vorbereitet wie ich bin, hole ich meinen internationalen Führerschein heraus, setze meinen Helm ab und gehe vor. Ich sehe, dass bei A1 kein Datum ist, sondern nur ein Stern als Verweis zu der Stelle, wo das Datum nachträglich eingetragen ist. Und dieses Datum wurde auf einem Aufkleber notiert, ist aber kaum noch lesbar. Er akzeptiert zum Glück meinen internationalen Führerschein, lächelt uns an und wir dürfen weiterfahren.

Es ist bereits dunkel als wir in Malatya ankommen. An einer Tankstelle halten wir an und ich frage zwei junge Türken nach einem Hotel. Einer sagt sofort Hilton, ich winke ab und mache das internationale Zeichen für zu teuer. Dann ruft er in einem Hotel an und macht uns ein Zimmer klar. Er redet die ganze Zeit türkisch, untermalt von Handzeichen und ich „höre“ raus, dass es ein Doppelzimmer mit Frühstück ist. Sein Freund holt ein Bündel Geld raus und zählt 150 Lira (keine 30€) ab. Der Preis passt und ich gebe das Hotel im Navi ein.