Tag 11: Trampolin de la muerte

Ich wache auf, drehe mich im Bett um und sehe aus dem Fenster. 2 m von meiner Cabana entfernt steht eine Kuh und grast, eine weitere liegt hinter ihr. Die Cabanas sind voll verglast und man hat einen wunderbaren Rundum-Blick in die Natur. Es ist sicher ein herrlicher Ort zum Entspannen. Aber nicht für uns, heute steht eine ganz besondere Offroad Strecke auf dem Programm, auf die ich mich schon seit Tagen freue. Die Trampolin de la muerte, eine der gefährlichsten Straßen in Kolumbien, die uns bis zum Amazonas bringen wird. Das Frühstück fällt extrem spartanisch aus. 2 Spiegeleier und schwarzer Kaffee. Als wir nach Brot fragen, bekommen wir staubtrockene kleine Semmeln. Anita meint, dass wir nochmal anhalten, bevor wir die Trampolin de la muerte fahren.

Bereits 10 km nach Abfahrt halten wir an einem Parkplatz. Die karge Landschaft ist geprägt von einer ganz besonderen Pflanze, die nur über 3.000 m wächst: Sie heißt Frailejones und sieht ein bisschen aus wie ein kleine Palme mit Sturmfrisur. Frailejones speichern Wasser und geben es in der Trockenzeit in den Boden ab, damit andere Pflanzen mehr Wasser abbekommen. Deswegen findet man sie meisten in der Nähe eines kleinen Baches. Wir gehen in das Feld und der Boden ist tatsächlich wasserdurchtränkt und wenn man den Stamm der Pflanze drückt, gibt sie Wasser ab. Sehr soziale Pflanzen.

Wir queren von West nach Ost zuerst auf Asphalt bis wir nach dem Ort San Francisco zum Lunch halten. Kurz darauf beginnt die 60 km lange Trampolin de la muerte. Es ist genau die Art Offroad-Track, die ich so sehr liebe. Fester, steiniger Boden, viele Kurven und eine atemberaubende Landschaft. Kathl und ich fliegen über die Straße, so schnell wie heute war ich noch nie unterwegs. Für eine gute Stunde sind wir im Flow, ich bin überglücklich, voller Elan und auch Erhan sagt bei einem kurzen Stopp, dass er nicht mit so einer Geschwindigkeit gerechnet hätte.

Ich fahre in dem Tempo weiter, es wird anstrengender, meine Kräfte lassen nach, aber ich will nicht aufhören. Ich merke nicht, oder ich will es nicht wahrhaben, dass ich am Limit fahre. Dann – vor einer Linkskurve passiert es. Ich bin viel zu schnell unterwegs, überbremse in Schräglage und stürze. Ich schlage mit meinen Knien hart auf dem Boden auf, der Schlag auf dem linken Knie löst einen furchtbaren Schmerz aus. Erhan, der hinter mir fährt, hält an, hilft mir auf und bringt mich an den Fahrbahnrand. Alleine schaffe ich es nicht. Er stellt mein Motorrad auf und fährt es zur Seite. Jetzt erst bemerke ich, dass in der Kurve ein Lkw steht. Das hätte auch schlimmer ausgehen können. Ich habe meine Jacke ausgezogen, sitze auf dem Boden und versuche, meine Knie zu bewegen. Die Schmerzen im linken Knie sind heftig. Aber ich kann das Bein strecken und wieder beugen. Ich bitte Erhan, mir die Arnica Kügelchen aus meinem Tankrucksack zu bringen, die mir meine liebe Mama für solche Fälle mitgegeben hat. Aber kurz darauf brauche ich dann noch die Ibuprofen. Es tut einfach höllisch weh. Erhan fragt, ob ich mir das Knie ansehen will. Lieber nicht, antworte ich. Sonst tut es noch mehr weh. Anita und Sergio biegen um die Ecke und halten an. Ich beiße die Zähne zusammen, möchte mir auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Ob es mir gut geht, will Anita wissen. Sie haben gesehen, dass ich auf dem Boden lag. Ich nicke und will zum Motorrad laufen, aber kann kaum auftreten. Ich beiße die Zähne noch mehr zusammen und setze langsam einen Fuß vor den anderen. Am Motorrad angekommen, ziehe ich mir meine Klamotten wieder an und versuche aufzusteigen. Unmöglich. Ich kann das Knie doch nicht mehr abknicken. Erhan hilft mir hoch und unter starken Schmerzen fahre ich eine halbe Stunde weiter bis zum Gipfel. Bei jeder Erschütterung schießt der Schmerz in mein Knie. Oben angekommen, schaffe ich es nicht abzusteigen. Anita schimpft mich, ich soll nicht die Harte spielen. Wir müssen noch 1,5 Stunden weiter fahren bis zu unserer Unterkunft in Mocoa und sie möchte mir daher ein stärkeres Schmerzmittel geben. Morphium frage ich? So etwas Ähnliches ja, meint sie. Es ist Tramadol, ein Opiat. Ich nehme 10 Tropfen und wir fahren weiter. Es dauert keine 10 Minuten, dann wird warm, mein Körper entspannt total und zuerst kitzelt es in beiden Knien, dann ist der Schmerz weg. Unfassbar. Ich fühl mich wie beflügelt, kein Witz. Erhan und ich sind über Intercom verbunden und ich fange an, wie ein Wasserfall mit ihm zu reden. Ununterbrochen. Bis wir in Mocoa im Hostal POSADA DANTAYACO ankommen. Ihm müssen die Ohren bluten. In meinem Zimmer ziehe ich Stiefel und Hose aus. Die Leggings unter meinem linken Knie-Protektor ist handtellergross aufgerissen. Am Knie selbst ist nur eine kleine Schürfwunde, aber es ist angeschwollen und rot-blau. Das rechte Knie ist ebenfalls an der Außenseite rot und dick. Ich humple in die Dusche und lege mich danach sofort ins Bett. Anita und Sergio kommen und Anita prüft meine Bänder. Scheint alles heil zu sein, zum Glück. Zum Schlafen soll ich nochmal 4 Tropfen Tramadol nehmen. Die Nacht ist trotzdem oder gerade deswegen furchtbar. Ich schlafe kaum, schwitze und habe Schmerzen, sobald ich mich nur ein bisschen bewege. Für morgen ist eine Amazonaswanderung zu einem 80 m hohen Wasserfall geplant, hoffentlich kann ich mitgehen.

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