Tag 5 am Pamir – bis nach Murghab

Ich stehe auf und komme erst mal gar nicht dazu, die atemberaubende Aussicht zu genießen. Ich muss schnell und dringend ein stilles Örtchen finden. Es rumort ganz ordentlich in meinem Magen. Fünf, sechs Mal verschwinde ich hinter einer Düne. Ist das Wasser oder die Glutamat-Pampe von gestern Schuld? Egal. Es ist nicht schön, ich leide.

Roland und Vincent frühstücken, ich belasse es bei einer Tasse schwarzem Tee und kann endlich das Panorama auf mich wirken lassen. Da es gestern bereits dunkel war, als wir ankamen, sehe ich die hohen Berge erst jetzt. Wir befinden uns direkt am Eingang des Wakhan Valley, das größtenteils zu Afghanistan gehört und an dieser Stelle so schmal ist, dass man sogar die 7.000er Pakistans sehen kann. Eine riesige nicht enden wollende Bergkette, mit hohen schneebedeckten Gipfeln. Der Hindukusch. Es ist gigantisch.

Gerade als wir fertig mit Frühstück sind, kommt ein Tadjike auf uns zu. Die Männer begrüßen sich, ich beobachte die Szenerie. Der Tadjike tippt etwas in sein Handy und zeigt es Roland. Roland sagt: „Wow 70 sheep here.“ und nickt anerkennend. Ich korrigiere: „Roland, er will 70 Som von uns. Für das Zelten auf seiner Weide.“ Sowas hätte ich hier niemals erwartet. Aber da wir alle zu müde sind für Diskussionen, geben wir ihm das Geld und er verschwindet wieder.

Kurz drauf treibt ein Teenager seinen Gemischtwarenladen an uns vorbei: Schafe, Ziegen, junge Kälbchen und ein Esel. Insgesamt ca. 20 Tiere, die nun ein Stück von uns entfernt grasen. Der Teenager trägt Jeans, Nike Turnschuhe und hört über seine Kopfhörer bestimmt keine tadjikische Volksmusik. Willkommen am wilden Ende der Welt.

Unser Ziel für heute ist Murghab. Wir fahren das Wakhan Valley entlang – ein landschaftliches Highlight auf dem Pamir Highway. Immer wieder stoppen wir für Fotos. Mein Magen hat sich nach wie vor nicht beruhigt aber beim Fahren bin ich zu konzentriert, um daran zu denken. Nur wenn wir anhalten, muss ich schnell hinter einem Busch verschwinden.

Seit wir in Dushanbe losgefahren sind, haben wir außer den Belgiern und Vincent keine weiteren Biker gesehen. Heute Nachmittag treffen wir auf eine Gruppe von fünf oder sechs Bikern auf kleinen 250ern. Offensichtlich Touristen, sie tragen Motorrad-Kleidung von BMW oder Touratech. Es sind Tagesausflügler ohne Gepäck, wir zählen sie daher nicht zu unseren Begegnungen mit echten Motorrad-Reisenden.

Als wir das Wakhan Valley verlassen, wird aus der Schotterpiste wieder eine Asphalt Straße. Ein bisschen freuen wir uns darüber, mal wieder schneller als 30km/h fahren zu können. Nicht nur die Straße verändert sich, sondern auch die Landschaft. Die Abendsonne lässt die roten Berge um uns herum glühen. Es erinnert ein bisschen an den Grand Canyon. Oder den Mars. Auf jeden Fall ist es anders als alles, was wir bisher gesehen haben.

Kurz vor Murghab passieren wir einen Pamir-Checkpoint. Hier treffen wir auf den esten Europäer. Einen Spanier auf einer 1150 GS, den wir kurz darauf auch im Pamir Hotel wieder sehen. Ihn und zwei Koreaner, die unterwegs auf einer 1200er GS und einer 700GS sind. Die beiden Koreaner fahren bis nach Portugal und zeigen uns beim Abendessen ganz aufgeregt Bilder aus der Mongolei. Es war ziemlich matschig dort, sie sind immer wieder gestürzt und das ständige Aufheben der schweren BMWs war wohl ganz schön anstrgend. Sie machen sich Sorgen, dass es auf der weiteren Strecke ähnlich ist. Wir können sie beruhigen, wir hatten keinen Matsch – nur sehr sehr viele Steine und Schotter.

Roland und ich haben uns im Pamir Hotel ein Doppelzimmer genommen, für 40$ nicht günstig aber ich hatte das Bedürfnis nach einem eigenen Badezimmer. Vincent hat für 5$ einen Schlafplatz in der Jurte vor dem Hotel bekommen. Das Abendessen ist super lecker. Ich esse Reis mit Gemüse, Roland Manti-Suppe und danach Fleisch mit Kartoffeln.

Wir sind keine 10 Minuten zurück im Zimmer, da geht das Licht aus und wir hören auch keinen Generator mehr. Oha. Um 22 Uhr ist hier also der Strom weg. Gut dass wir wenigstens unsere Helm-Kommunikation geladen hatten.

Bonjour Vincent!

Wir genießen ein spätes und ausgedehntes Frühstück Deluxe. Espresso, Brot, Marmelade (noch aus dem Iran), Käse, Joghurt, Orangensaft.

Gestern Nacht war es frisch, aber jetzt um 10 Uhr scheint die Sonne bereits ziemlich stark, da wir uns auf ca. 2.000m befinden. Ich ziehe meinen Bikini an und mache den Abwasch im Fluss (mit der super biologischen absolut schadstofffreien Travelseife). Ich bin ruckzuck fertig, da das Wasser unglaublich kalt ist – geschätzt keine 5 Grad und meine Hände und Füße sofort rot werden. Apropos. Zeit für ein bisschen Pflege. Ich setze mich in den Campingstuhl für eine ausgiebige Maniküre und Pediküre. Roland duscht sich währenddessen und fängt an, seine Sachen zu packen. Wie so oft drängt er darauf, weiterzufahren während ich nichts dagegen hätte, noch einen Tag länger zu bleiben. Er gewinnt wie immer die Diskussion. Ich dusche mich und packe ebenfalls zusammen.

Da fahren auf einmal die beiden Belgier Michelle und Cecile mit ihren GS in Vollausstattung vorbei. Ich muss jedes mal schmunzeln, wenn ich sie auf ihren Expeditions-Bikes sehe.

Wir winken, sie sehen uns und halten an. Sie waren bei den Hot Springs und fahren jetzt zu den anderen Quellen „Bibi Fatima“. Unser Weg führt ebenfalls dort entlang und so sind wir uns sicher, dass wir uns in Kürze wieder sehen werden. Was auch ein paar Stunden später der Fall ist. An einer Tankstelle treffen wir nicht nur dir beiden sondern auch Vincent aus Frankreich, mit dem wir am Gas Krater in Turkmenistan kurz gesprochen hatten. Nach einer kurzen Unterhaltung fahren Roland und ich weiter.

Unsere Wasservorräte gehen langsam zu Ende und ich halte nach einem Shop Ausschau. In einem Dorf entdecke ich einen Brunnen, wie es viele hier auf dem Pamir Highway gibt. Die Häuser haben keinen Wasseranschluss und die Menschen versorgen sich über diese Brunnen mit Trinkwasser. Also machen wir das auch, wir füllen unsere Bags und Flaschen. Roland verwendet Micropur, ich nicht da ich den Chlorgeschmack nicht mag. Ob das eine gute Idee war…

Die heutige Etappe verläuft hauptsächlich auf Asphalt, wir durchfahren mehrere Ortschaften und immer wieder „greifen“ uns Hunde aus dem Hinterhalt an. Ich erschrecke zu Tode, wenn sie bellend auf mich zulaufen und beschleunige so schnell es die Straße zulässt, um ihnen davon zu fahren. Roland meint, die wollen nur spielen und ich sei der Ball. Nettes Kompliment.

Wir haben inzwischen eine Taktik entwickelt, um sie zu verwirren. Da sie immer den letzten Fahrer „angreifen“ (den letzten beissen eben die Hunde…) fährt der Hintere von uns überraschend neben den ersten und aus dem Sichtfeld des Hundes. Dann bleiben sie meist aprubt und perplex stehen.

Am Spätnachmittag sehe ich Vincent im Rückspiegel und als wir alle drei anhalten um einzukaufen, beschließen wir zusammen weiterzufahren und einen Platz zum Zelten zu suchen. Wir fahren noch ein paar Kilometer auf Schotter und dann durch ein paar Sandbänke. Hier liegt Vincent das erste Mal. Roland hilft ihm, seine schwere 1150 GS Adventure aufzuheben.

Es ist dunkel, als wir auf einer großen Wiese unsere Zelte aufbauen. Im Scheinwerferlicht sehe ich jede Menge Tiermist, aber ich bin zu kaputt, um zu protestieren. Ich schieße den gröbsten Dreck mit dem Stiefel auf die Seite, bevor wir unsere Plane für das Zelt ausbreiten.

Ausnahmsweise gibt es heute bei uns Chinesische Packerlsuppe. Vincent isst Pasta. Sehr sympathisch. Er spricht sehr gut deutsch, erzählt von Afghanistan und zeigt uns Bilder aus einer ganz anderen Welt. Die Menschen keine 100m Luftlinie entfernt sehen total anders aus als Tadjiken, viel dunkler, mit pechschwarzen Haaren. Und sie tragen eine Art Turban. Es gibt kein Fernsehen und Internet – zumindest im Grenzgebiet wo er unterwegs war. Und auch Frankreich kannten die Menschen nicht, die er getroffen hatte. Die Straßen waren noch schlechter als hier, er hat sein Bike des öfteren hingelegt. Kein Wunder! Die Adventure ist für seine 1,70m eigentlich zu hoch. Das glaubt er manchmal auch, sagt er. Aber er liebt sie halt so.

Vincent ist 57 und hat drei erwachsene Söhne. Er ist in den letzten Jahren viel mit der GS gereist, war in Marokko und Algerien, Türkei und Iran. Am 1. Juli ist er zu seiner jetzigen Reise aufgebrochen und Ende August muss er wieder daheim sein. Er macht die gleiche Route wie wir in nur 2 Monaten.

Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die folgenden 11 Tage werden wir gemeinsam reisen.

Tag 3 am Pamir

Ich wache auf, weil ich Stimmen höre. Ein Blick aufs Handy. Es ist 7 Uhr. Draußen unterhalten sich mehrere Frauen. Ich öffne das Zelt einen Spalt und sehe drei, nein vier Frauen unter den Bäumen am Boden knien. Sie tragen geblümte Kleider und ein buntes Kopftuch. Neben ihnen am Boden steht jeweils ein Metall-Eimer. Sie sammeln diese weißen Früchte, die ich gestern probiert habe. Oh oh. Wir zelten auf ihrer Ernte.

Ich wecke Roland auf, erzähle ihm was ich gesehen habe. Ihm ist es egal aber ich habe das Gefühl, dass wir die Frauen hier bei der Arbeit stören. Irgendwie fühle ich mich gerade etwas unwohl. Außerdem… Wie sollen wir duschen, wenn sie hier sind?

Als um 8 Uhr der Wecker klingelt, wagen wir uns aus dem Zelt. Die Frauen sind natürlich noch da. Ich mache erstmal Kaffee und wir beschließen abzuwarten, bis sie fertig sind. Wir haben ja keinen Zeitdruck. Als wir gerade unser Frühstück essen (Kekse und das frische Obst), bringt uns eine der vier Frauen ein Stück Brot. Sie fragt: Country? Und wir antworten: Germania. „Oh“ sagt sie, „Michael Schumacher“. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Von Merkel bis Matthäus war schon alles dabei – aber noch nie Schumacher. Und dann ergänzt sie: „Invalid.“ Ja, leider nicke ich. Sie erzählt uns noch, dass die Frucht, die sie sammeln „Tut“ auf tadjikisch heißt – den russischen Namen hab ich vergessen – und dass daraus in der Fabrik Marmelade gemacht wird. (Wie gut man sich doch unterhalten kann, auch wenn man die Sprache des anderen nicht spricht).

Nach einer guten Stunde sind sie tatsächlich fertig, verabschieden sich und gehen mit ihrer Ernte davon. Endlich können wir duschen. Roland fängt an und stellt sich in Badehose unter den Ortlieb Wassersack mit Duschaufsatz (keine Werbung, ich werde hierfür nicht bezahlt. Ich liebe ihn auch so.). Ich hatte extra Travelseife gekauft, die man für alles verwenden kann: Haare und Körper, Wäsche waschen, Zähne putzen, Geschirr abwaschen etc. und eben auch in Flüssen, Seen und Salzwasser. Also auch unter einem Obstbaum, hoffe ich.

Das Wasser reicht genau für uns beide, mit dem zweiten Sack spülen wir unser Frühstücksgeschirr ab und füllen unsere Camelbaks. Dann packen wir unsere Bikes und fahren los.

Nach gut 100 km sind wir in Khorog. Keine schöne Stadt, sie ist laut und voll, es gibt einen „Khorog Fried Chicken“ und viel zu viele Menschen. Es gefällt uns gar nicht, und so kaufen wir hier nur in einem erschreckend gut sortierten Supermarkt ein (es gibt sogar Löwenbräu Bier!!) und fahren weiter in Richtung „Hot Springs“. Der Weg führt von der Hauptstraße hoch in die Berge. Auf einer Offroad Piste fahren wir an einem klaren und breiten Gebirgsfluss entlang. Rechts und links von uns Berge, die von der untergehenden Sonne angestrahlt werden. Das Panorma ist großartig. Fast wie in Tirol meint Roland. Ich entdecke eine Stelle am Fluss mit ein paar Bäumen, etwas entfernt von der Straße. Wir haben unseren Platz für heute Nacht gefunden und lassen die Hot Springs sausen.

Der Fluss ist eiseiseiskalt. Perfekt um unsere Getränke zu kühlen. Wie gestern füllt Roland unseren Duschsack und hängt ihn an den Baum. Zum Abendessen gibt es wieder Spaghetti mit Tomatensauce. Also eigentlich essen wir jedes Mal Pasta, wenn wir campen. Geht schnell, man braucht wenig Geschirr und ich muss nur ein Gericht kochen, das wir beide essen, da ich ja Vegetarierin bin. Roland besteht lediglich darauf, dass die Sauce gut gewürzt ist und so kaufe ich jedes Mal eine frische Zwiebel oder Knoblauch. Chili-Flocken, Oregano und Salz/Pfeffer hab ich auf Reisen sowieso immer dabei. Wir sind Abenteurer aber keine Asketen.

Unter den Obstbäumen

Wir verlassen Kalaihkum und gelangen kurz darauf an den Fluss Pyandzh, der die Grenze zwischen Afghanistan und Tadjikistan bildet und uns die nächsten 500 km begleiten wird.

Die Piste führt meist direkt am Ufer entlang, ab und zu bewegen wir uns etwas bergauf vom Fluss weg und haben so einen tollen Panoramablick auf das Tal und den Flusslauf. Das Wasser hat durch den Sand eine grau-braune Färbung und hin wieder säumen statt schroffen Felsen breite Sandbänke das Ufer, auf denen sich Tiere – meist Kühe – tummeln. Das Pendant zu den Schweinen in der Karibik. Irgendwie.

Auf der anderen Seite zum Greifen nah liegt Afghanistan. Genau wie auf unserer Seite führt auch dort eine schmale Piste am Fluss entlang, hin und wieder fährt ein Auto oder Moped parallel zu uns. Wir sehen kleine Dörfer: Halb fertige, braune Häuser, meist steht ein Moped davor und ein paar Hühner laufen hin und her. Kinder spielen auf einem großen Felsen direkt am Wasser und einmal winken sich Roland und ein paar Männer am Wasser zu.

Auf unserer Seite patrouillieren immer wieder kleine Gruppen junger tadjikischer Soldaten. Sie wirken müde und gelangweilt aber grüßen uns immer sehr freundlich mit einem Lächeln und Winken. Wir vermuten, dass sie verstärkt an Stellen unterwegs sind, an denen der Fluss nur ein paar wenige Meter breit ist. Und das ist oft der Fall.

Zu Beginn ist die Landschaft sehr felsig und grau und wir sehen keine Häuser und Menschen, nur ein paar Lkw kommen uns entgegen. Erst nach ein paar Stunden durchfahren wir die ersten kleinen Dörfer, die wie grüne Oasen wirken. Große Bäume stehen entlang der Piste, dahinter öffnen sich weite Wiesen und Felder.

In einem Feld stehen zwei Männer und winken. Der Fluss ist ganz ruhig geworden, er ist spiegelglatt und fliesst leise vor sich hin.

Ich halte an. Hier möchte ich campen. Es ist erst kurz nach 4 und wir sind auch noch nicht weit gekommen, aber hier gefällt es mir. Ich erzähle Roland von meinem Plan und fahre ein Stück zurück, frage die Männer, ob man hier campen darf (Ich bilde ein Zelt mit den Händen und sage „camping?“). Der ältere von beiden nickt sofort freundlich und zeigt nach oben rechts. Genau dort wollte ich hin. Zwischen die großen Obstbäume.

Wir stellen unsere Bikes unter den letzten Baum, ein Stück weg von der Straße. Unser Zelt bauen wir daneben auf. Dann entdecke ich am Rand einen kleinen Bach, Roland füllt unsere beiden Wassersäcke und befestigt sie unter einem Baum. Das wird morgen unsere Dusche sein. Zum Glück hat er das sofort gemacht, denn keine halbe Stunde später fließt hier kein Wasser mehr. Der Bach ist künstlich angelegt und wird, so vermuten wir, zur Bewässerung der Bäume und Felder genutzt.

Die Obstbäume tragen Aprikosen und eine andere Frucht, die ich noch nie gesehen habe. Sie ist weiß und hat die Form einer Brombeere, nur etwas länglicher. Ich pflücke eine und probiere sie. Schmeckt süßlich. Lecker. Ich sammle ein paar Aprikosen vom Boden auf und einiges von der anderen Frucht für unser Frühstück morgen.

Wir haben den perfekten Platz gefunden. Die Bäume spenden Schatten und sind ein Sichtschutz, wir haben frisches Obst und Wasser. Ich setze mich zufrieden auf meinen Campingstuhl und schaue über den Fluss nach Afghanistan.