Die Heimfahrt

Ich wache auf und blicke auf die grüne Plastikgitarre neben mir im Bett. Die hab ich wohl als Roland-Ersatz mit ins Bett genommen. Was für eine Party, was für eine Nacht. Ich versuche, mit einem großen Kaffee und deftigen Frühstück meinen kleinen Kater zu kurieren und komme langsam auf die Beine.

Nach Mittag ist es geschafft: Ich bin fit, die Taschen sind gepackt, ich schmiere noch die Kette wie ich es Roland versprochen habe und belade meine Zicki. Barbara und Jo sind bereits zur Veranstaltung gefahren. Die Sultans of Sprint haben ihr Zelt auf dem Dandy Riders Festival aufgebaut. Voll beladen und abreisebereit schaue ich dort kurz vorbei, verabschiede mich von allen und starte gegen 14 Uhr los.

Mein Navi hat mir die Route über Mailand und die Schweiz als kürzeste Strecke angegeben. Ich überlege kurz, ob ich nicht doch über den Gardasee fahre. Notfalls könnte ich dort bei meiner Schwester und ihrer Familie übernachten. Aber ich möchte heute Abend gern in München sein und Roland sehen. Daraus wird aber nichts, denn als ich bei Mailand auf mein Handy sehe, während ich in der Schlange vor der Mautstation anstehe, lese ich eine Nachricht von Roland, dass er in Passau bleibt und erst Montagfrüh nach München kommt. Blöd, denn er hat den Wohnungsschlüssel. Also schreibe ich meinen Eltern, dass ich heute bei ihnen schlafe – allerdings erst sehr spät ankomme.

Die Schlange ist lang, ich warte bestimmt 20 Minuten. Dann fällt es mir ein: Ich hab ja nur noch 50€ in bar dabei und auch keine Kreditkarte. So ein Mist. Mit EC kann man an den Mautstationen nicht zahlen. Wie kann man bitte so planlos sein. Die 30.000 km durch Zentralasien verliefen absolut reibungslos und kaum fahre ich quasi meine Hausstrecke setzt das Gehirn aus. Ich habe Glück, knapp 40€ kostet die Maut. Ich fahre die erste Ausfahrt raus und versuche in einer Shoppingmall Geld abzuheben. Beide Automaten sind außer Betrieb. 5 km weiter habe ich dann endlich Erfolg und wieder ausreichend Bargeld in der Tasche.

Mittlerweile ist es nach 19 Uhr und es wird dunkel. Ich fahre zurück auf die Autobahn und stehe wieder im Stau. Diesmal ist es ein Unfall. Es ist eine zähe Heimfahrt zumal mir Roland fehlt, mit dem ich mich unterhalten kann. Wir haben viel über unsere Kommunikationsgeräte gesprochen, da vergeht die Zeit natürlich viel schneller. Alleine fahren ist anders. Besonders wenn man eine so lange Strecke zurücklegen muss.

An der Schweizer Grenze kaufe ich die Vignette und als ich kurz danach tanke, beginnt es auch noch zu regnen. Nein, es schüttet aus Eimern. Und schlagartig fallen die Temperaturen. Ich habe mein komplettes Zwiebeloutfit an – Merinoshirts, Daunenjacke, Kamelnierengurt, Windbreaker, Motorradjacke, Regenjacke – kalt ist es trotzdem. Auf dem San Bernardino hat es dichten Nebel, ich schaue lieber nicht auf die Temperaturanzeige, da ich sonst vermutlich noch mehr friere. Der 6 km lange Tunnel ist für kurze Zeit der schönste Ort der Welt.

Die halbe Strecke ist geschafft, 450 km liegen noch vor mir. Ich bin zum Glück noch überhaupt nicht müde. Allerdings stresst es mich, dass ich sehr schlecht sehe. Bis auf das Stück um den wundervoll beleuchteten Lugano See ist es vollkommen dunkel auf der Strecke und es regnet immer noch sehr stark. Mein Visier ist von der Reise total verkratzt, die entgegenkommenden Fahrzeuge blenden stark und mein eigener Scheinwerfer leuchtet nicht mehr ordentlich. Eine fiese Kombination. So komme ich nur langsam voran, weil ich stellenweise auf 30 km/h runterbremsen muss. Ich steuer die Raststation Heidiland an, will mich kurz aufwärmen und einen Kaffee trinken. Das Restaurant hat schon geschlossen. Also fahre ich weiter und die nächsten Stunden stur auf der Autobahn vor mich hin, am Bodensee vorbei und schließlich auf die A96.

Ich bin zurück in Deutschland, jetzt ist es nicht mehr weit. An der Tankstelle bei Landsberg kaufe mir die erste Breze seit vier Monaten. Was für ein Genuss. Die letzten 60 km sind ein Klacks. Ich fahre in Laim von der A96 ab, biege in die Fürstenrieder Straße Richtung Süden. Es ist 2.10 Uhr, ich bin ganz alleine auf der Straße unterwegs. Noch 2x rechts und 2x links, dann bin ich daheim! Ich hab’s geschafft, ich hab’s geschafft, ich hab’s geschafft sage ich leise vor mich hin, als ich in die Straße abbiege, in der meine Eltern leben. Das Hoftor steht weit offen, ich parke mein Bike und bin noch nicht abgestiegen, da springt meine Mama in ihrem weißen Bademantel aus der Haustür. Sie ist tatsächlich wach geblieben, die Verrückte. Klatschnass wie ich bin und mit Helm auf dem Kopf liegen wir uns in den Armen. 12,5 Stunden war ich unterwegs, 865km bin ich gefahren. Meine Mama schimpft mich kurz, was es für ein Blödsinn das war, so lange so weit ganz alleine zu fahren. Ich ertrage es und sage nichts, ist ja schließlich ihr gutes Recht als Mama.

Ich trage nur das nötigste Gepäck rein und ziehe meine nassen Klamotten aus – also alles – und schlüpfe in ein langes, gestreiftes Baumwoll-Nachthemd meiner Mama. Ich sehe an mir herab, ein bisschen wunderlich ist es ja schon, mit fast 38 im Nachthemd der Mutter zu stecken. Aber in diesem Moment fühlt es sich genau richtig an. Ich bin nach 29.300 km wieder Zuhause angekommen. Bei meiner Familie.

Raceday in Saint Raphael: Das sind die Sultans of Sprint

Sultans of Sprint – das ist eine Serie von vier 1/8-Meile-Sprintrennen in Europa, die vor drei Jahren von dem Franzosen Sebastien Lorentz und seiner Freundin Lolo ins Leben gerufen wurde. Die Rennen finden in Monza, Spa, am Glemseck und heute hier in Saint Raphael statt. Teilnehmen dürfen je nach Klasse Zwei- oder Vierzylinder, die radikal zu Racebikes umgebaut wurden.

Natürlich ist es ein ernstzunehmender Wettbewerb. Aber es geht auch um die Party und den Spassdrumherum, den Teilnehmer und Zuschauer dabei haben. Jedes Team musste sich ein bestimmtes Motto überlegen und sich dann entsprechend präsentieren. Die Kostüme und Partytauglichkeit fließen ebenso in die Bewertung ein wie die Platzierungen bei den Rennen. Je verrückter das Kostüm und je außergewöhnlcher der Auftritt, desto mehr Punkte gibt es. Entsprechend wild geht es bei den Rennen – aber auch der anschließenden Party – zu.

Neben den Veranstaltern Sebastien und Lolo, gibt es viele weitere Menschen, die das Event so einzigartig machen. Allen voran der „Sultan“ Andreas, der mit seiner immer guten Laune und rotzfrechen Art die Rennen so unterhaltsam moderiert wie kein anderer. Dann gibt es noch Fred, der hinter der Bar dafür sorgt, dass unsere Kehlen nie trocken sind und Stamm-DJ Jörn, der mit seiner Musik alles und jeden bis spät in die Nacht hinein zum Zappeln bringt. Und natürlich das MO-Rennteam, das professionell Start und Ziel managet.

Die Rennstrecke heute liegt etwas außerhalb von Saint Raphael und als Jo, Barbara und ich dort ankommen, herrscht ein reges Treiben. Bikes werden aus den Transportern geladen und in den Vorstart geschoben. 2.000 Zuschauer stehen bereits entlang der Strecke, das Rennteam hat Position an Start und Ziel bezogen. Bis auf das Flaggirl Laura. Für das letzte Event haben sich die Veranstalter etwas ganz besonderes überlegt: Laura reitet auf einem Kamel zur Strecke.

Dann geht’s los. Nach und nach treten die Rennfahrer gegeneinander an – wer gegen wen fährt, hatte gestern das Glücksrad entschieden. Es ist ein K.O. System, wer sein Rennen verliert, fliegt leider raus. Um den Sieg in der „Freak Class“ fahren heute Mac Aco vom Team Schlachtwerk und Daniele Ghiselli. Daniele fährt als erster über die Ziellinie und gewinnt damit das Rennen in Saint Raphael. Gesamtsieger allerdings ist Mac Aco, da für das Rennen hier die doppelten Punkte vergeben werden. Er verweist damit Daniele auf Platz 2 und Philip (Team Kraftstoffschmiede) auf Platz 3.

In der Factory Class gewinnt Yamaha mit der von Workhorse umgebauten XSR 700, den Gesamtsieg holt sich Triumph mit der Thruxton R von Mellow Motorcycles.

Nach der Siegerehrung wird ordentlich gefeiert. Macaco legt ein kleines oben-ohne Freudentänzchen auf der Bühne hin und Daniele widmet seinen Preis dem verletzten Ralph. Sultans of Sprint ist nämlich mehr als nur racen!

Einige Bilder wurden freundlicherweise von Kerstin zur Verfügung gestellt.

Abschied von Roland

Heute endet Rolands und mein gemeinsames Abenteuer. Roland wird sich auf den Heimweg nach Passau machen, da er Montag wieder arbeiten muss und ich bleibe noch ein paar Tage in Frankreich.

Ich weiß nicht, ob Roland sich absichtlich Zeit lässt beim Frühstücken und Zusammenpacken aber ich interpretiere das Trödeln mal so, dass er mich eigentlich nicht verlassen möchte. Eigentlich.

Um 14 Uhr ist sein Bike fertig beladen und wir stehen uns auf der Terrasse gegenüber, Arm in Arm und haben beide Tränen in den Augen. Der Abschied fällt uns sehr schwer. Vier Monate lang waren wir tagaus, tagein zusammen, sind jeden der 28.500 Kilometer gemeinsam gefahren und haben die wildesten und schönsten Abenteuer erlebt. Die Vorstellung, ab sofort ohne den anderen zu sein, schmerzt. Wir verabschieden uns 100 Mal, er hält meinen Kopf in seinen Händen und küsst mich immer wieder. Tränen kullern über meine Wangen. Warum bin ich nur so traurig, obwohl ich weiß, dass wir uns in 3 Tagen in München wieder sehen?

Ich ermahne ihn, nicht bis zum letzten Tropfen Benzin zu warten, bevor er eine Tankstelle sucht. Und Roland bittet mich, die Kette zu reinigen und zu schmieren, bevor ich heimfahre. Wir kennen unsere Schwächen ganz genau und müssen beide schmunzeln. Er sagt, dass er irgendwo in der Schweiz übernachten wird, wenn er müde ist. Ich habe das Gefühl, dass er die 1.050 km durchfahren wird und so ist es auch. 12 Stunden nachdem wir uns verabschiedet haben, erreicht er sicher sein Zuhause und ich kann beruhigt einschlafen.

Urlaub an der Côte d’Azur

Ich war schonmal an der Côte d’Azur. Als Kleinkind. Meine Mama erzählt gern die Geschichte, wie ich damals in einem sehr feinen Restaurant auf den Stuhl gemacht habe und sie nur mit Müh und Not das Malheur aus dem Strohgeflecht entfernen konnte. Inzwischen bin ich sauber – sehr zur Freude von Barbara und Jo, die uns in ihrem Bungalow aufgenommen haben. Nach einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse laufen wir zum Strand und relaxen dort bis zum Spätnachmittag. Danach steigen Roland und ich noch kurz in den Whirlpool, bevor wir zu Ralph ins Krankenhaus fahren. Die OP an seinem Bein ist gut verlaufen und bereits übermorgen fliegt ihn der ADAC nach Hause. Der Heilungsprozess wird einige Monate dauern aber die Ärzte sind zuversichtlich, dass das Bein wieder vollständig hergestellt wird.

Am Abend treffen wir alle anderen der Sultans Familie auf der Pre-Party und natürlich auch Sebastien und Lolo, die beiden Gründer und Veranstalter der Sultans of Sprint. Es ist schön, alle wieder zu sehen und ich freu mich auf unglaublich auf das Rennen morgen und die Party danach. Aber da ich heute irgendwie immer noch relativ müde bin und Roland morgen nach Hause fahren wird, machen wir uns zeitnah auf den Rückweg ins Bungalow.